Projekt "Wildgänse im Werratal"

Die Populationen von Wildgänsen haben nach Bestandstiefs um ca. 1970 in ganz Europa wieder stark zugenommen (Madsen 1991; Fox et al. 2010). Alleine für Deutschland meldet das Bundesamt für Naturschutz (BfN) 26.000-37.000 Graugänse mit zunehmender Tendenz im Zwölfjahrestrend (Droeschmeister 2013). Für Hessen sind die offiziellen Zahlen 400-600 Brutpaare bei der Graugans und 500-700 Brutpaare bei der Nilgans, beide mit starker Zunahme im Trend der letzten 25 Jahre (Werner et al. 2014).

Mit der starken Zunahme der Wildgänse, allen voran der Grau- und Nilgans, haben auch die Konflikte mit diesen Arten zugenommen. Es ist wissenschaftlich dokumentiert, dass Gänse landwirtschaftlichen Ertragseinbußen verursachen können (Petkov et al. 2017; McKay et al. 1993; Conover 1988; Percival und Houston 1992). Diese entstehen in erster Linie durch Beweidung, aber auch als Trittschäden, wenn viele Gänse intensiv dieselbe Futterfläche nutzen. Im Projektgebiet ist nach Einschätzung der örtlichen Landwirte das lokale Graugansvorkommen für die Beweidung von Winter- und Sommergetreide verantwortlich, Raps wird ebenfalls gern aufgenommen. Andere Wildgänse, wie Bläss- und Saatgans, kommen im Projektgebiet vor, aber in so geringer Anzahl und als Wintergäste, dass ihr Fraßeinfluss vernachlässigt werden kann. Die zweithäufigste Art im Projektgebiet ist die Nilgans, die durch ihre kleinere Anzahl einen geringeren Einfluss auf die Landwirtschaft hat.

Die Zahl der anwesenden Wildgänse schwankt stark über den Jahresverlauf. In zweiwöchig stattfindenden Zählaktionen konnten seit Anfang Dezember 2018 bis zu 800 Graugänse im Winter in der Region Eschwege-Meinhard festgestellt werden, im Sommer sind es weitaus weniger, manchmal nur 100 Tiere. Nilgänse gibt es im Winter bis zu 250 Tiere um den Großen Werratalsee, im Sommer sind es manchmal weniger als 50 Tiere, die gezählt werden konnten. Die Zählungen stellen immer den Mindestbestand der wirklich erfassten Tiere dar.

Die Nilgans ist für ein weiteres Problem hauptverantwortlich: Die Verkotung von Badestellen und Liegewiesen. Dieser Konflikt ist auch andernorts bekannt, besonders populär ist in diesem Zusammenhang das Brentanobad in Frankfurt. Die dortigen Liegewiesen und der Beckenrand waren so stark verkotet, dass tägliche Reinigungen notwendig waren. Durch Vergrämungsabschüsse konnte man dieses Problem einschränken (mündl. Mitteilung BäderBetriebe Frankfurt GmbH).

Am Großen Werratalsee, einem EU-zertifizierten Badesee, tritt das Verkotungsproblem ebenfalls auf. An den zwei offiziellen Badestellen „Oststrand“ und „Badestelle Süd“ spielt die Verunreinigung durch Nilgänse eine bedeutende Rolle. Angestellte der Stadtverwaltung reinigen während der Badesaison täglich die Badestellen von Gänsekot. Beobachtungen von Angestellten der Stadt und Badegästen zeigen: Nilgänse sind die Hauptverursacher der Verunreinigung.

Im Sommer 2018 kam es an der Badestelle Süd zu einem zeitweiligen Badeverbot. Grund waren die Ergebnisse der regelmäßigen Untersuchungen zur Qualität des Badewassers. In einer Wasserprobe aus dem Jahr 2014 war die Konzentration von intestinalen Enterokokken mit 5.700 KBE/100ml und Escherichia coli mit 1.000 KBE/100ml extrem hoch. Bei beiden handelt es sich Darmbakterien. Es gab bisher nur eine einzige Beprobung an der Badestelle Süd mit diesen hohen Werten. In der Folge wurde an der Badestelle Süd ein Badeverbot für 2019 ausgesprochen. In 2020 droht nach einer Messung vom 15.07.2019 ein Badeverbot für den Oststrand. Dort wurde ein ähnlich hoher Wert nachgewiesen. Der Großteil der Messungen weist keine oder extrem geringe Belastungen auf. Eine eindeutige Erklärung, wie es zu den sehr hohen Einzelwerten kam, gibt es bisher nicht.

Eine mögliche Quelle für intestinale Enterokokken und Escherichia coli ist der Kot von Wasservögeln, unter anderem der von Wildgänsen.

Beide Konflikte, die Beweidung durch Graugänse in der Landwirtschaft und die Verkotung der Badestellen durch Nilgänse, werden im Projekt behandelt. Da es sich um zwei unabhängige Problemfelder handelt, gibt es teils unterschiedliche Lösungsansätze. Die Relevanz beider Konflikte geht über das Projektgebiet hinaus und findet sich auch in anderen Landesteilen Deutschlands mit größeren Wildganskonzentrationen, etwa In Norddeutschland oder dem Rheinland. Vor dem Hintergrund der weiter zunehmenden Wildgansvorkommen in ganz Deutschland werden auch die Konflikte mit ihnen in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Als grundlegender Lösungsansatz für beide Konflikte (Landwirtschaftliche Schäden und Verkotung der Badestellen) wird versucht Grau- und Nilgänse in ihrer Raumnutzung zu lenken. Von besonders empfindlichen landwirtschaftlichen Kulturen und den beiden Badestellen (sog. Meidungsflächen) werden Grau- und Nilgänse möglichst ferngehalten. Das kann nur funktionieren, wenn geeignete Alternativen (Duldungsflächen) für die Tiere zur Verfügung stehen. Die Ausgestaltung von Flächen, auf denen die Wildgänse äsen und sich aufhalten können, ist ein fester Bestandteil der Strategie.

Die Jagd spielt als lenkendes Element eine entscheidende Rolle in der Raumnutzung der Wildgänse. Ein abgestimmtes Jagdkonzept beinhaltet Jagd auf den Meidungsflächen und Jagdruhe auf den Duldungsflächen. Die räumliche und zeitliche Ausgestaltung wird im Projektverlauf gemeinsam mit Jägern und Landwirten entwickelt.

Die unterschiedlichen Interessen von Verbandsnaturschutz, der Gemeinden Eschwege und Meinhard, der örtlichen Landwirte und der lokalen Jägerschaft werden im Projekt berücksichtigt. Nur ein Kompromiss, der die Interessen aller Gruppen aufnimmt, hat Aussicht auf einen dauerhaften Erfolg.

 

Literatur

Conover, Michael R. (1988): Effect of Grazing by Canada Geese on the Winter Growth of Rye. In: The Journal of Wildlife Management 52 (1), S. 76. DOI: 10.2307/3801062

Droeschmeister, Rainer (2013): Bestandsgröße und Trends für 250 Brutvogelarten gemäß nationalem Bericht 2013 nach Art. 12 EU-Vogelschutzrichtlinie, zuletzt geprüft am 11.04.2019

Fox, A. D.; Ebbinge, B. S.; Mitchell, C.; Heinicke, T.; Aarvak, T.; Colhoun, K. et al. (2010): Current estimates of goose population sizes in western Europe, a gap analysis and an assessment of trends. In: Ornis Svecica (20), S. 115–127, zuletzt geprüft am 11.04.2019

Madsen, J. (1991): Status and trends of goose populations in the Western Palearctic in the 1980s. In: Ardea (79), S. 113–122, zuletzt geprüft am 11.04.2019

McKay, H. V.; Bishop, J. D.; Feare, C. J.; Stevens, M. C. (1993): Feeding by brent geese can reduce yield of oilseed rape. In: Crop Protection (12), S. 101–105, zuletzt geprüft am 11.04.2019

Percival, S. M.; Houston, D. C. (1992): The Effect of Winter Grazing by Barnacle Geese on Grassland Yields on Islay. In: The Journal of Applied Ecology 29 (1), S. 35. DOI: 10.2307/2404344

Petkov, Nicky; Harrison, Anne L.; Stamenov, Anton; Hilton, Geoff M. (2017): The impact of wintering geese on crop yields in Bulgarian Dobrudzha: implications for agri-environment schemes. In: Eur J Wildl Res 63 (4), S. 897. DOI: 10.1007/s10344-017-1119-0

Werner, M.; Bauschmann, G.; Hormann, M.; Stiefel, D.; Kreuziger, J.; Korn, M.; Stübing, S. (2014): Rote Liste der bestandsgefährdeten Brutvogelarten Hessens, zuletzt geprüft am 11.04.2019